Auf dem Gang

 

Piotrowski lief dem Schulleiter Krawutschke auf dem Gang zum Hallentrakt in die Arme. Sie begrüßten sich und Krawutschke fragte überfreundlich:„Habt ihr euch eingerichtet?“
Der Trainer schaute verlegen in das aufgedunsene Funktionärsgesicht und nickte jaja.
Krawutschke beachtete die Geste nicht weiter und setzte fort: „Ich habe keine Lehrgangsplanung von Euch gefunden. Wie kommts?“
Wieder wollte Товариш Trainer ein jaja nicken, aber Krawutschke sprach eindringlich weiter:
„Ich hab nicht erst gestern hier angefangen und du weißt genau: Es ist hier wie überall in der Republik: Es gibt ein paar Regeln, damit der effiziente Einsatz der Mittel immer gewährleistet bleibt.“
Der Trainer schaltete seine Gesichtszüge auf verstehendeinsichtig und jaichhabeeinenfehlergemacht und schluckte geübt seinen aufkeimenden Widerspruch runter. (Er dachte: scheißkerlfetter jugendfunktionär, keinen nagel gerade in wand, leut aufhalten und zeit klauen)
Er suchte sein bestes Deutsch hervor und fragte: „Unterlagen von Cheftrainer aus Berlin? Telegramm, Anruf?“
Der Schulleiter schob die Unterlippe vor und schüttelte verneinend den Kopf: „Mir liegt nichts vor, aber ich war ein paar Tage im Urlaub, kann höchstens sein, dass im Sauhaufen, den meine Urlaubsvertretung mir übergeben hat, etwas drinsteckt.“
Товариш Trainer wähnte den Funktionär besänftigt und ergänzte beflissen: „Letztes Woche Donnerstag war Tagung Steueraktiv und Freitag Tagung Büro in Verband. Da ist Planung noch einmal bestätigt. Alle Unterlagen in Berlin abgegeben und sollte abschicken von Sekretärin längst hier sein. Schon drei Wochen hier.“
Krawutschke brauste erneut auf: „BüroSekretärin? AktivSteuerung? Ich zieh Euern Generalsekretär persönlich durchs Telefon, wenn der Lehrgangsplan fehlt. Ich kenn den noch vom Zentralrat, da war der noch ein kleines Licht in der Bezirksleitung. Eure Mittelfreigabe aus dem Verbandskontingent hat auf dem Dienstweg bei mir vorzuliegen, damit wir danach arbeiten können!“
Piotrowski schaute betreten den langen leeren Gang entlang und Krawutschke zitierte aus der Verpflegungsbestellung, mit der er in der Hand herumwedelte:
„Also konkret: Du hast Zwischenmahlzeit am Nachmittag angefordert mit Kuchen und Obst. Das ist der Satz für die Auswahlkader. Eure Auswahlkader haben Lehrgang zur WM-Vorbereitung und sitzen geschlossen in Kienbaum ein. Also: Wer soll hier bitte Auswahlkader sein?“
Piotrowski, der sich schon aus der Affäre gezogen glaubte, war überrascht: „Carla Klittmann nachnominiert macht mir Lehrgang.“
Krawutschke hakte nach: „Red keinen Unsinn, so blöd bin ich nicht. Wer nachnominiert ist, der ist in Kienbaum wie alle anderen auch und nicht hier.“
Piotrowski fühlte sich ertappt und versuchte es mit einer Erklärung: „Iss so, dass Testwettkampf angesetzt. Jetzt dritte WM-Starterin von Kienbaum abgereist wegen Sehnenabriss. Damit ein Platz frei und soll bei Testwettkampf neu vergeben. Klittmann ist Beste in dieses Jahr, weil danach nur eine Juniorin, zwei von Jugend und eine von Mehrkampf. Kann im Grunde nichts geht schief. Carla wird Beste.“
Der Schulleiter nahm das mit Skepsis auf: „Ach nee, das sind aber eher Wünsche als Fakten.“
Krawutschke trat zutraulich einen halben Schritt auf Piotrowski zu und sagte gedämpft: „Понимаю! Du hast der Klittmann gesagt, dass sie schon nachnominiert ist, obwohl der Testwettkampf noch gar nicht gelaufen ist. Und damit das nicht auffällt, bestellst du für sie den Satz für Auswahlkader.“
Piotrowski schaute versteinert ins Gesicht von Krawutschke, nichts Gutes ahnend.
Der Schulleiter trat wieder einen Schritt zurück und brüllte Piotrowski an:„Sag, das das nicht wahr ist. Товариш Trainer, sag, dass das nicht wahr ist!“
Товариш Trainer presste die Lippen aufeinander und suchte verzweifelt den immernoch langleeren Gang nach irgendeiner Rettung ab.
„Mann, Piotrowski, das ist dünnes Eis. Aber ganz ganz dünnes. Die muss das doch merken, ohne schriftliche Einladung, ohne Kienbaum, ohne Einkleidung.“
Piotrowski hob die Schultern und holte tief Luft: „Schwer aber was leicht?“
Hinter Krawutschkes Stirn begannen seine Gedanken die Neuigkeit hin und her zu schieben, wie seine Modelleisenbahnlok in der Kindheit, deren korrodierte Gleiskontakte hakten, so zuckelte seine Gedankenzugmaschine stotternd und abgehackt durch seine Hirnwindungen. Was konnte er daraus für sich ableiten? Er wusste es vorerst nicht. Mit dem Handrücken winkte er ab:
„Mir soll das egal sein, aber das Auswahl-Kader-Kontingent musst du mir bringen, ob nominiert oder nicht. Außerdem: Ich glaub nicht recht daran. Dein Ehrgeiz in allen Ehren. Ich würde wetten, dass sie es nicht schafft. Aus einem Dackel machst auch du kein Rennpferd.“
Товариш Trainer schluckte die offen ausgesprochene Beleidigung und legte sich noch einmal ins Zeug: „Diese Mal letzte Chance für Carla für WM qualifizieren. Sie ist stark, war bei Meisterschaft Vierte und nun große Chance. Sie macht das. Du kannst denken, Jahr und Jahr Training und schaffst nicht WM oder Spiele. Gutgut Europacup, nur WM und Spiele nicht. Fahren andere gucken zu. Jedes Jahr mit Bestleistung bei erste Zehn der Welt und hast nicht WM hast nicht Spiele. Nie dabei. Jetzt nochmal harte Training sechs Wochen in Sportschule. Zuhaus geht nicht, hier in Sportschule ist besser. Weil hier nur Sport und intensiv, zuhaus noch Leute Sachen Freizeit, Freunde, aber hier alles zentral mit klein Weg. Und für kleine Ausrede nichtnominiert. Wissen genau: hartes Training, jeden Tag Halle oder Platz. Mein Frau macht viel Hölle heiß, weil Sonderlehrgang angesetzt. Drei Woch Sommerurlaub verplatzt.“
„Geplatzt heißt das, Товариш, mir kommen die Tränen.“ Krawutschke schüttelte resigniert den Kopf und beendete die Litanei des Trainers. „Ich will mal nicht so sein, ist zur Zeit nicht viel los, weil keine Schwimmer da sind. Haben ihre WM dieses Jahr im Winter in Australien.“
Er wedelte wieder mit den Bestellzetteln herum: „Massage hast du auch bestellt, gibts auch nur für Auswahlkader täglich. Das genehmige ich dir nicht offiziell. Geh zu Claudia, der Physio und rede mit ihr, ob sies reinschiebt. Überstunden an Wochenenden unterschreib ich dafür aber nicht, dass du Bescheid weißt.“
Piotrowski wurde nochmal knallrot und murmelte ein Jajaissgutdanke.

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