Platz

Kiefern passierend, die den Blick zum Trainingsplatz versperrten, sah Erik sie beim Training.
Gebückt riss er Grashalme aus und schnippste sie in den Wind. Der trieb sie in Carlas Richtung. Rückenwind stellte Erik fest, keine gute Sache fürs Speerwerfen.
Der rote Tartanläufer auf der Anlaufbahn der Speerwerfer war ganz in der Nähe des Zaunes ausgerollt, flankiert von einer Turnbank mit Carlas Sporttasche darauf. Carla bereitete sich auf das Wurftraining vor. Ein- und Ausschultern mit Speer zur Dehnung, Rumpfmuskulaturlockerung, Oberkörperverdrehungen links- und rechtsherum.

Die Erwärmungsprozedur erinnerte Erik an seine eigene Zeit auf den Sportplätzen. Während der Schulzeit war er ein passabler Leichtathlet gewesen, nicht gut genug für den Leistungssport, aber ausreichend, um in seiner Kreisstadt zahlreiche Siege einzuheimsen.
Oder in den Nachbarstädten des Ostseebezirks, die er mit seinen Vereinskameraden bereiste, um bei Abendsportfesten zu starten. Der Älteste bekam die Startkarten und den Sammelfahrschein für den Reichsbahneilzug in die Hand gedrückt und ab ging die Post. Sie räumten bei den Wettkämpfen gut ab und hatten jede Menge Spaß: Knüppelsdorp, mit ganz langem Gimpel, imitierte den Sänger samt Mikrofonständer, Duwwelbier, guter Mittelstreckler, spielte Luftgitarre und Lüdschinner lufttrommelte als Schlagzeuger der MöRTELMISCHERS.
Bei KreisBezirksMeisterschaften und KreisBezirksSpartakiaden stand Erik regelmäßig auf dem Treppchen, KugelDiskusHammerSpeer, gelegentlich im Mehrkampf oder beim Springen.
In seiner Schulzeit betrieben fast alle Jugendlichen irgendeine Art aktiven Sport. Das Erziehungsziel von Kinderkrippe, Kindergarten, Polytechnischer Oberschule, Berufsschule, Erweiterter Oberschule und Fachschule, Hochschule und Universität nannte sich Allseitig Harmonische Persönlichkeit, da musste der Körper um jeden Preis ertüchtigt werden, hieß auf altmodisch KörperErtüchtigung oder KörperErziehung auf modern.
In der Schule stellten die Sportlehrer Auswahlmannschaften im Schwimmen, Turnen, Staffellauf, Handball, Volleyball oder IrgendwasSport auf und traten gegen die Auswahlmannschaften anderer Schulen im Kreis an. Ruhm und Ehre galt es für die Schule zu gewinnen. Die Schuldirektoren erhielten für solche Platzierungen Geldprämien oder gingen leer aus, so wie für die wenigsten Sitzenbleiber oder die höchsten Zensurendurchschnitte oder die meisten Arbeiterkinder bei EeOoeSs-Delegierungen oder Teilnehmer der KreisRussischOlympiade.
In einem Land, in dem Sinnlospläne in allen Lebensbereichen aufgestellt wurden und das PhantomTrugbildBlendungTäuschungSchwindelWahnHirngespinst der Planerfüllung zum Schlachtfeld irgendeines Klassenkampfes aufgebauscht wurde, da wogen nichtsnutzige, sportliche Erfolge schwer.
Einer der angesehensten Schülerwettbewerbe war der Wettkampf um die Urkunde des Staatsratsvorsitzenden. Erik erinnerte sich gern daran. Die Teilnehmer absolvierten einen Hundertmetersprint, Weitsprung und Kugelstoßen. Die Leistungen wurden in Punkte umgerechnet und addiert und der Stadtsieger seines Jahrganges erhielt die begehrte Urkunde mit der eingeprägten Unterschrift des staatsratenden Stifters.
Das Besondere dieses Wettkampfes bestand darin, dass er von der Abteilung Volksbildung beim Rat der Stadt ausgerichtet wurde und nicht vom Kreisfachausschuss des Leichtathletikverbandes, also ein Schulwettbewerb war. Daher durften nicht nur die Spezialisten teilnehmen, die in einer Leichtathletiksektion eines Sportvereins trainierten, sondern alle Schüler. Normalerweise durfte man nur in der Sportart und für den Verein an Wettkämpfen teilnehmen, in der man vom Verband für das laufende Jahr eine Startberechtigung erhielt. Die gabs für blaugummierte, beitragsmarkenvollgeklebte VereinsMitgliedsbüchlein mit einem aktuellen Sportarztstempel. Wer das nicht hatte, der durfte bei einem Wettkampf des Sportverbandes nicht starten. Regeln mussten sein.
Nur beim Wettkampf um die Staatsratsurkunde konnten Fußballer, Hockeyspieler, Handballer, Tischtennisspieler, Schwimmer und Turner ohne Formalitäten gegeneinander antreten. So war der Ehrgeiz der Fremdlinge besonders angestachelt die Leichtathleten zu besiegen, denn diese besondere Urkunde gab es nur für diesen Dreikampf. Erik gehörte zu den Etablierten, die ihr Revier zu verteidigen hatten und er gewann die Urkunde 3 Mal. Nicht schlecht, dachte er sentimental, von 8 Möglichen 3 Mal gewonnen.

Währenddessen begann Carla ihr Wurftraining. Wie alle Speerwerfer spuckte sie vor dem Wurf in die Hände und auf die Griffwicklung, danach tunkte sie ihre Finger in ein Pappetöpfchen mit Baumwachs, aus dem sie eine kleinen, grünlichschwarzen Klecks herauskratzte und auf ihren Daumen, Daumenballen, Zeige- und Mittelfinger und kurz hinter der Griffwicklung breitschmierte.
Das ergab ein ekliges Gebräu mit klebrigem Halt, das bei den Speerwerfern Kult war. Mehr als die Hälfte vom Aberglauben eines Speerwerfers ergab sich allein aus dem Ritual um diese Klebemasse, die im Bedarfsfall als Grund für alles herhalten musste.
Den anderen Teil des Aberglaubens machten die STATUSSYMBOLE DER PROFIS aus, die Zusatzutensilien zur Bekleidung:
Eingepackt wie eine Kosmonautin trug Carla

  • am rechten Arm, ihrem WURFARM, eine uralte ELLBOGENMANSCHETTE, an deren ausgefransten Rändern bereits die zerrissenen Enden der eingearbeiteten Gummifasern heraushingen,
  • am HANDGELENK einen selbstgewickelten ELASTISCHEN VERBAND, der von den Stürzen nach dem Abwurf erdfarben verdreckt war,
  • die Mittelglieder der WURFHANDFINGER pflastergrau geTAPEt, so dass die Hand wie eine avantgardistische Schmuckreklame leuchtete,
  • das linke KNIE mit GELENKBANDAGE, die nur ihren Aberglauben befriedigte, denn Carla hatte noch nie Knieschmerzen und das führte sie auf die Bandage zurück,
  • ein blaues STIRNBAND, das übersät war von grünschwarzen Harzflecken, die Carla bei jedem Griff an den Kopf hinterließ und
  • als Krönung der Ausstattung ein GEWICHTHEBERGüRTEL um die LENDE, den sie so fest anzog, dass ihr üppiges Hinterteil wie das Fahrgestell eines Wehfünfzig unter dem Gürtel hervorquoll.

Alle Utensilien legte sie über der Trainingsbekleidung an, die bei Carla heute aus nicht zusammengehörigen Einzelstücken bestand, einem verwaschenen langärmeligen Jersey, über das sie ein uraltes nationalmannschaftshellblaues Turnhemd trug und einer Silastiktrainingshose mit nur zwei Seitenstreifen.
Nach wenigen Minuten unterbrach sie ihre Würfe und Товариш Trainer redete auf sie ein. Erik ging am Zaun entlang näher heran, um zu lauschen:
„Du wirfst wie Anfängerin – drei Versuchen 2 Mal Speer nicht über Kopf gezogen. Erstens versauste Technik noch mehr und zweites ruinierste Ellbogen – wie Fehlbelastung. Hatten tausendmal gesprochen, aber nicht kapiert? Habe Kegel aufgestellt, und du jetzt 6 Mal volle Kanne. Musst 4 weiter als Kegel. Wenn gut, dann Schluss heute. Hat freien Abend.“
Carla wurmte es, dass sie gleich am Anfang des Trainings kritisiert wurde. Das war sie nicht gewohnt. Das brachte sie aus dem Rhythmus. Vor zwei Monaten hatte Trainer Piotrowski wieder die Betreuung von Carla übernommen. Gleichzeitig mit der Nachricht, dass sie als Starterin zu den Weltmeisterschaften nachnominiert wurde.
Trotzig entgegnete sie: „Wieso versau ich mir die Technik? Wo hab ich denn die Scheißtechnik gelernt? Hab ich doch von dir, Trainer. Schon vergessen? 5 Jahre Jugendtraining! - Und außerdem war ich 5 Wochen im Kraftraum, habe brav meine Pillen geschluckt, und bin fest, fest wie Stein, wie soll ich denn da ne dolle Technik haben? Soll ich mir vielleicht was zerren? Dann können wir gleich einpacken.“
Товариш Trainer wollte wieder aufbrausen, besann sich aber zur versöhnlichen Einrede: „Carla, aber WM in 5 Wochen, da muss Training alles schneller gehn. Ich nichts kann machen, Diskutieren Zeit kostet, keine Sinn.“
Carla drehte sich weg und fluchte abgewandt: „Ich weiß. Ich denk an dich, wie du Keinesinn auf mir liegst, da hab ich soviel KeineWut, dass der KeineSpeer bis zum Griff im KeineBoden einrammt.“ Den letzten Teil des Satzes murmelte sie nur noch leise vor sich hin.
Der Trainer ahnte, dass es bei ihrem Gemurmel um jene peinliche Episode ging, die sich zum Saisonabschluss vor einigen Jahren ereignete. Er blieb versöhnlich: „Weiter gehste, also Serie!“ Piotrowski ging voraus zur Abwurflinie und Carla zurück zur Anlaufmarke. Neben ihr standen sechs Speere. Sie nahm den ersten Speer, konzentrierte sich kurz und lief an.

Erik kannte die Technik gut. Man musste beim Anlauf das Kunststück fertig bringen den Rumpf mit allen Muskeln, Knochen, Sehnen und Bändern auf zweierlei Art anzuspannen:
Einmal wie einen Bogen mit einem weiten Hohlkreuz, wobei man den Speer nach ganz hinten ausstreckte. Zum Zweiten musste man Schulter und Hüfte so weit gegeneinander verdrehen, dass man Reaktivkraft für das Zurückschnippsen gewann. Für die Verdrehung lief man ein paar Schritte im Steigerungslauf an und kurz vor dem Abwurf führte man einen Kreuzschritt aus, bei dem der Fuß auf der Wurfhandseite seitlich vor den anderen gesetzt wurde. Nur so gelang es aus dem geraden Anlauf heraus die Schulter der Wurfhandseite nach hinten zu drehen und den Rumpf zu verwringen. Beim nächsten und letzten Schritt schlug der Fuss mitsamt SchuhundSpikes in den Boden ein und das gegenstemmende Bein hebelte das Becken und den Oberkörper darüber in die Höhe.
Für das Stemmbein gabs daher auch spezielle Wurfspikes, die eigentlich Halbstiefel waren und zusätzlich mindestens zwei Nägel unter der Ferse hatten. Nach dem Aufstemmen trieb übertragene Impuls den Oberkörper weiter nach vorn oben, während der Speer von der allerhintersten Halteposition über den Scheitel nach vorn gezogen wurde. Am Anfang war der Wurfarm nach hinten gestreckt, um den Speer über den Kopf zu ziehen wurde er gebeugt und schließlich beschleunigten die Streckmuskeln an Schulter+Brust+Arm bis in ihre größtmöglichen Gelenkwinkel.
Der Werfer verwrang sich weit ausholend und schnell zog er sich dabei eine Zerrung in der Hüftmuskulatur zu. Über Wochen vorher, wenn das Krafttraining auf Hochtouren lief, erhöhte sich der Innendruck der Muskulatur und behinderte die Längendehnung, die aber gerade zur geschmeidigen Abwurfbewegung und zur elastischen Verwringung nötig war. Eine Gratwanderung, die das Speerwerfen zur Wurfdisziplin mit den höchsten koordinativen Ansprüchen erhob, weil der Athlet eine reaktive, doppelte Abzugsfeder aus Bogen und Verdrehung spannen musste.
Verletzungsgefahr drohte aber vor allem beim Armzug , denn es gab anatomisch keine andere Bremse für die explosive ArmSpeerBeschleunigung als ein kurzer, fragiler Knochenfortsatz im Ellbogengelenk, der die Streckung über die hundertachtzig Grad hinaus mit einem knöchernen Anschlag verhinderte. Nicht die dicksttrainiertesten SchulterundOberarmmuskeln der Welt wären in der Lage eine derart explosive Bewegung allein durch antagonistischen Krafteinsatz abzubremsen. Nicht selten aber hielt nicht einmal dieser Knochensporn der Zugkraft stand und rissbrachab.
Speerwerfer, denen dieses Verletzungspech widerfuhr, konnten einpacken, nach Hause gehen und wurden nie wieder auf einer Wurfanlage gesehen. Sie durften froh sein, wenn sie wieder einen Nagel mit dem Hammer in die Wand schlagen konnten. Aber es kam vor, dass man dafür auf die andre Hand wechseln musste.
Die dynamische Laufbewegung steigerte die sporttechnischen Anforderungen noch, denn der Anlauf war am schwierigsten in die Koordination einzupassen. In der internationalen Spitzenklasse gab es einige Werferinnen von Format, die nahezu ohne Anlauf warfen.
Denn das Lager der Speerwerfer teilte sich traditionell in 2 Parteien auf:
Die einen hatten vom Körperbau und den Muskeln her beste Voraussetzungen: Sie waren groß gewachsen mit langen Armen. Sie nutzten einen langen Beschleunigungsweg aus, damit der Speer schneller als bei anderen die Hand verließ.
[Nach dem Grundprinzip der Biomechanik: Je länger der Beschleunigungsweg, desto höher die Endgeschwindigkeit. Eine konstante Kraft gibt einer Masse eine umso höhere Endgeschwindigkeit, je länger die Kraft auf die Masse einwirkt. Für Sportarten, bei denen eine möglichst hohe Endgeschwindigkeit erreicht werden soll (leichtathletische Wurfdisziplinen), liegen die größten Beschleunigungskräfte am Ende der Beschleunigungsphase. (Nach HOCHMUTH vom FKS, der bei der Erarbeitung eines Lehrbuches für Biomechanik die Nase vorn hatte vor seinem Stallkollegen MARHOLD aus der DHfK, was zwar für die Wissenschaft egalwar, aber nieundnimmernich für die Wissenschaftler.)] Mit dem Nachteil, dass auf den weiten Nervenwegen zwischen Gehirn und Muskeln die Schnelligkeit und die Koordination nachließen. Mit ihren langen ArmenundBeinen hielten die langen KerlsundMadls beim Krafttraining sowieso nicht mit.
Der zweite Typus war der mit der Bewegungsbegabung, der genau die notwendigen Muskeleinsätze zu einem runden Ablauf verband, vor allem die Impulse aus Bogenspannung und Verwringung mit dem Krafteinsatz des Armzugs und dem Aufstemmen des Beines zusammenbrachte.
[Noch ein biomechanisches Grundprinzip: Das Prinzip der (zeitlichen) Koordination von Einzelimpulsen. Neben der zeitlichen spielt auch die räumliche Komponente, also die Richtung der Impulse, eine wichtige Rolle. Die Gesamtgeschwindigkeit ist dann besonders hoch, wenn die Teilimpulse in die gleiche Richtung weisen. Aufgrund des Baus der menschlichen Gelenke (Rotationsbewegungen) ist die räumliche Gleichgerichtetheit oft nur bedingt möglich. Bestimmte Bewegungen bzw. Körperteile erzeugen auch entgegengesetzte Reaktionskräfte. Trifft ein bewegter Körper auf einen anderen Körper (oder wird dieser abgebremst) kommt es zu einer Impulsübertragung. Impulsübertragungen durch Abbremsen eines oder mehrerer Körperteile spielen im Sport eine wichtige Rolle. (Wieder nicht nach MARHOLD, sondern nach HOCHMUTH.] Das genügte schon und man konnte mit ordentlichem Krafttraining sehr weit vorankommen. Da musste man kein Riese sein.
Bei Carla steckte das Talent genau hier, in der zeitlichen und räumlichen Koordination der Impulse aus ihren dickstausgeprägsten Muskeln.

Erik fühlte die Bewegung mit und spürte, dass es nicht rundlief bei Carla. Schon beim Übersetzen im Kreuzschritt spannte sich ihr Rumpf nicht so an, wie sie es gebraucht hätte. Flüssige, elastische Dehnung wäre nötig gewesen, bei der man sich fühlte, als ob der eingedrehte Leib eine Edelstahlfeder wäre, die nach einer unendlich währenden Verdrehung wieder zurückschnappen wollte. War es nicht und wurde es aber nicht.
Ihr Leib glich einem von einer Drahtkorsage eingeschnürten, prallvollen Sack Mehl. Keine Spur von der Geschmeidigkeit einer massigen Raubkatze, die Erik sich für Carla wünschte. Wenn der Rumpf schon beim ersten ernsthaften Versuch streikte, dann war an dem Tag nichts drin. Erik konnte es fühlen, nur der Trainer glaubte, mit seiner Antreiberei könnte er das ändern. Da gabs nichts zu ändern, das war so und heute gings nicht.
Der erste Speer landete und blieb etwa 1 Meter vor dem Kegel im Boden stecken. Erik sah deutlich, wie der Schwanz des Speeres von der Wucht des Einstichs noch einen langen Momentlang zappelte. Nach dem Abwurf hielt Carla sich instinktiv den WurfarmManschettenEllbogen.
Als sie ein zweites Mal warf, konnte Erik nicht sehen, wie weit der Speer flog, weil er nicht im Boden stecken blieb. Im Wettkampf hätte es einen der obligatorischen Streitfälle gegeben, bei denen Kampfrichter entscheiden sollten, ob ein Speer im Rasen geritzt hätte oder nicht. Wenn nicht, hagelte es Proteste, aber im Nachhinein war eine 10zentimeterlange Schramme auf einem FußballGroßfeld unmöglich zu ermitteln.
Der dritte Wurf misslang 5 Meter zu kurz. Товариш Trainer riss der Geduldsfaden: „Wenn so weitergeht, dann nie schaffen! Reiß zusammen! Sonst alles umsonst, Schinderei ganze, Betteln für Trainingslager, Freischaufeln meine Mittel.“
Brummbassig tiefstimmig begehrte Carla auf: „Wem seine Schinderei denn? Trainer, du stehst doch hier nur rum, und ich muss schindern und muss 5 Kilo mehr mit mir rumschleppen. Ich habe keine Lust mehr, mir den Scheiß anzuhören, außerdem: Wie weit sind die Kegel überhaupt? Das sind doch locker 65 m. Da waren die ersten beiden rund 64 m? Die hatte ich dieses Jahr noch gar nicht! Dann auch noch bei Rückenwind. Trainer, du bescheißt mich, bis zum Kegel geht gar nicht. Das brauch ich mir nicht zu gefallen zu gelassen.“
Nun war auch Piotrowski aufgebracht: „Ooh, Madam heute kann nicht. Und wer Schuld? Wind? Kilo? Kegel? Trainer? Immer anderen. Machste Schluss! Morgen weiter.“ Er griff sich das leere Netz und ging quer über den Platz, um die Kegel einzusammeln.
Carla war aber noch nicht mit ihm fertig und schrie ihm in den Rücken: „Was ist mit der Berufungsurkunde und der Einkleidung für die WM? Wie soll man sich in den Scheißklamotten ordentlich vorbereiten?“
Товариш Trainer drehte eine Pirouette und rief zurück: „Bei siebzig!“
Hastig riss Carla sich einen der getapeten Velourspikes von den Füßen und warf ihn zornig in Richtung Trainer. Gefährlich nah bei Piotrowski schlug der Nagelschuh in den Rasen ein. Blitzartig beugte sie sich nach dem Abwurf des Schuhs nach vorn und hielt sich wieder den Ellbogen des Wurfarms. In die Knie gehend heulte sie vor Wut und stechenden Schmerzen im Arm. Ruppig räumte sie mit einer Hand ihre Tasche ein und fluchschluchzte:
„Scheißkerlelender, warumtrainiert dermich überhaupt? Derkanndochnur dreckerzählen inseinem doofenrussendeutsch, erst machtman mittenimsommer kraftinderhalle, dannsoll manschnellmal bestleistungwerfen, dannis technikweg, mansollsich nichverletzen, iseinfach nurzum Kotzenmitdem, zumkotzen wiedamals, diearschgeige.“

Erik stand am Zaun und sprach sie besänftigend an: „War eben heute nicht mehr drin.“
Carla lenkte überrascht ihren Ausbruch auf den ungebetenen Zuschauer:„Was willst du denn hier? Hast du zugeglotzt oder was? Verpiss dich, aber ganz schnell, sonst hau ich dir den andern Schuh in die Fresse. Dann hast du wirklich mal Blut in der Visage, Arschloch. Überall Klugscheißer. Lasst mich bloß in Ruhe, alle. Lasst mich alle in Ruhe!“
Wutfunkelnd wandte sie sich ab und versuchte den klebrigen Belag von ihrer rechten Hand abzurubbeln. Sie sammelte ihre Speere und den Schuh vom Rasen auf und stapfte ihrem Trainer hinterher zu den Trainingshallen.
Verdattert salzsäulte Erik. Die Sache mit dem Blut, er hatte schon gar nicht mehr daran gedacht.

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